Urteilsverkündung: Mangelnde Härte im Urteil gegen rassistischen Angreifer

Mitte April dieses Jahres ist ein Mann Opfer eines schweren rassistischen Angriffs in einem Zug geworden: Der Täter stach mit einem Schraubenzieher 22-mal auf den Betroffenen ein. Vor und nach der Tat stellte der Angreifer seine extrem rechte Gesinnung wiederholt zur Schau. Trotzdem wurde er nun vor dem Landgericht Osnabrück lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Der Betroffene wurde im Zug zwischen Bersenbrück und Bramsche zunächst rassistisch beschimpft und bedrängt. Anschließend hat der Täter mindestens 22-mal mit einem Schraubenzieher auf den Betroffenen eingestochen und ihn dabei an Kopf, Hals und Extremitäten schwer verletzt. Weitere Angriffe konnten durch den Betroffenen selbst, aber auch durch andere Fahrgäste verhindert werden.

Seit Mitte Oktober musste sich der Angreifer wegen versuchten Mordes, Körperverletzung sowie Bedrohung vor dem Landgericht Osnabrück verantworten. Der Betroffene trat als Nebenkläger auf. Nach sechs Prozessterminen wurde der Täter dann am 20.11.24 unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt – und bleibt damit weit unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von 10 Jahren. Die rassistische Motivation des Täters wurde allerdings anerkannt und bereits als deutlich strafverschärfend berücksichtigt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Urteil sendet falsches Signal

„Das Urteil ist, trotz der Benennung des Tatmotivs als rassistisch, eine herbe Enttäuschung und sendet ein absolut falsches Signal – sowohl gegenüber dem Betroffenen als auch gegenüber der Öffentlichkeit“, meint Anna Eschbaum, Pressesprecherin der Betroffenenberatung Niedersachsen. „Gerade in Anbetracht der europaweiten Erfolge rechter Parteien und Positionen ist es umso wichtiger, dass Taten wie diese hart verurteilt werden“, so Eschbaum weiter.

Keine Zweifel an extrem rechter Überzeugung des Täters 

Während des Gerichtsverfahrens konnte die extrem rechte Überzeugung des Täters mehrfach aufgezeigt werden. So ritzte dieser mit dem späteren Tatwerkzeug SS-Runen und weitere rechtsextreme Symbole in die Bahnsitze und zeigte vor dem Angriff wiederholt und deutlich sichtbar für Mitfahrende den Hitlergruß. Gegenüber dem Betroffenen äußerte er sich ebenfalls eindeutig rassistisch. Auch die Ergebnisse der Handyauswertung ließen keine Zweifel an der Gesinnung des Täters.

Gericht sieht lediglich bedingten Tötungsvorsatz

Besonders perfide ist, dass der Täter den Betroffenen schon vor der Tat fotografierte, ihn als einzigen für ihn wahrnehmbaren Schwarzen Fahrgast gezielt auswählte. Im Anschluss daran setzte er sich direkt hinter ihn und provozierte mit rassistischen Aussagen sowie Schlägen gegen den Sitz. Anschließend stach der Täter mit einem Schraubenzieher mit voller Wucht auf den Betroffenen ein. Da er jedoch im letzten Moment von dem Betroffenen abgelassen hat, kam die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zu dem Ergebnis, dass er zwar mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe, aber die Rechtsprechung in diesem Fall zugunsten des Angeklagten entscheidet.

Betroffenenberatung fordert stärkere Aufmerksamkeit für Betroffene

Rechte Gewalt sendet eine Botschaft an alle Menschen, die potentiell von ihr betroffen sein können. Dadurch werden Angsträume geschaffen, die über den konkreten Angriff hinausgehen. „Jetzt ist es umso wichtiger, dass die Zivilgesellschaft klar an der Seite dieses und aller zukünftigen Betroffenen steht – und dies muss auch öffentlich wahrnehmbar sein”, fordert Anna Eschbaum.

Fehlendes öffentliches Interesse signalisiert Betroffenen, dass ihnen gesellschaftliche Solidarität nicht zusteht. Täter fühlen sich dadurch gestärkt, während Betroffene aus dem öffentlichen Raum gedrängt werden. „Sowohl die öffentliche Resonanz als auch das Urteil spiegeln kaum die Brutalität der Tat wider. Für den Betroffenen hätte dieser Angriff im Zug tödlich enden können“, so Eschbaum. Die Betroffenenberatung fordert daher eine starke Solidarisierung mit den Betroffenen und eine noch stärkere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit – vor allem in den Medien.

Pressekontakt:
Anna Eschbaum
Betroffenenberatung Niedersachsen. Beratung bei rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

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