Freispruch für Betroffenen – Richter setzt Zeichen gegen Racial Profiling

(Foto: Sushil Nash/Unsplash)

Ein Schwarzer Mann hat mehrfach Racial Profiling durch die Osnabrücker Polizei erlebt. Bei einer Kontrolle sagte er den Beamten, dass ihr Vorgehen rassistisch sei. Heute (29.8.23) mussten sich aber nicht die Polizisten vor dem Amtsgericht Osnabrück verantworten – sondern er.

„Es gab Zeiten, in denen ich mit weißen Freunden unterwegs war und die Polizei nur mich und nicht meine weißen Freunde durchsuchte. Sie kontrollierten nur mich, weil ich ein Schwarzer bin“, erzählt John (Name geändert).

Immerhin konnte er heute einen Erfolg vor Gericht erzielen. Er war wegen Beleidigung angeklagt und wurde freigesprochen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Polizei zeigt ihn wegen Beleidigung an

Der Betroffene wurde zuvor mehrfach im Hinterhof einer Spielhalle von der Polizei Osnabrück kontrolliert. Jedes Mal ohne Ergebnis. Bei der letzten Kontrolle sagte er den Polizisten, dass ihre Maßnahme rassistisch sei. Daraufhin zeigten sie ihn wegen Beleidigung an.

„Aus meiner Sicht ist klar, dass John wegen seiner Hautfarbe kontrolliert wurde. Es handelte sich offenbar um eine verdachtsunabhängige Personenkontrolle, bei der keine Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat durch meinen Mandanten ersichtlich waren“, sagt Rechtsanwalt Nils Dietrich, der den Betroffenen vertritt.

Bodycam-Aufnahme als Beweismittel

Von der Kontrolle gibt es eine Bodycam-Aufnahme, die heute im Gericht gezeigt wurde. Auf dem Video ist zu hören, dass John das Verhalten der Beamten „rassistisch“ nennt. Er sagt nicht, dass die Polizisten „Rassisten“ seien. Das kann ein entscheidender Unterschied in der rechtlichen Bewertung sein.

Denn staatliche Maßnahmen dürfen kritisiert werden. „Betroffene haben das Recht solche Maßnahmen zu kritisieren – auch mit deutlichen Worten. Dieses Recht ist höher zu gewichten, als das angekratzte Ehrgefühl von Polizist*innen“, so Dietrich.

Kein Einzelfall

Kein Einzelfall. Niedersachsen- und bundesweit geraten immer wieder Menschen ins Visier der Polizei, weil sie nicht weiß sind. Auch in Osnabrück werden immer mehr Fälle bekannt. Deshalb machen zurzeit verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen auf das Problem aufmerksam.

Insbesondere Schwarze Menschen werden überdurchschnittlich oft von der Polizei kontrolliert – ohne Anlass, ohne dass ihnen eine Straftat nachgewiesen werden kann.

„Ich wünschte, sie würde mich nicht für einen Kriminellen halten“

„Ich lebe seit sieben Jahren hier und habe mir ein Fahrrad gekauft. Die Polizeibeamten haben mich oft angehalten, um zu überprüfen, ob das Fahrrad tatsächlich mir gehört. Ich wünschte, sie würden mich nicht für einen Kriminellen halten, nur weil ich Schwarz bin“, sagt John.

Auch in der Beratung berichten Menschen von ähnlichen Erfahrungen: „Betroffene erzählen uns, dass sie Racial Profiling erleben. Wenn sie das benennen, werden sie nicht selten von der Polizei wegen Beleidigung angezeigt. Eine doppelte Belastung“, sagt Marie Kortmann, Pressesprecherin der Betroffenenberatung Niedersachsen.

Die Beratungsstelle hilft Menschen in Niedersachsen, die rechte, rassistische oder antisemitische Gewalt erleben. Auch John wird hier seit einigen Wochen beraten.

Verfahren gegen Polizist*innen in mehr als 95 Prozent eingestellt

Das Frustrierende: Die Beamten müssen sich für Racial Profiling bislang sehr selten verantworten. „Verfahren gegen Polizist*innen werden in mehr als 95 Prozent der Fälle eingestellt“, so Rechtsanwalt Dietrich. Im Gegensatz dazu hat die Polizei meistens mit ihren eigenen Anzeigen vor Gericht Erfolg.

Freispruch für Betroffenen

Immerhin sah der Richter des Amtsgerichts Osnabrück das heute anders und hat John freigesprochen. „Auch das Landgericht Mannheim hat kürzlich ähnlich geurteilt. Das freut uns sehr. Wir sehen hier erste Anzeichen, dass Gerichte solche Fälle anders beurteilen und hoffen, dass sich das fortsetzt“, so Marie Kortmann von der Betroffenenberatung.

Darüber hinaus sollten neue Beschwerdestellen geschaffen werden. „Leider gibt es in Niedersachsen keine unabhängige Beratung für Menschen, die rassistische Kontrollen erleben. In Berlin gibt es das bereits“, so Kortmann weiter.

Niedersachsen braucht Beschwerdestelle für Racial Profiling

Dort finden Menschen bei „KOP“ professionelle Hilfe. Die Kampagne dokumentiert seit 20 Jahren behördliche Diskriminierung und Gewalt in Berlin. Sie betreibt zudem auch einen Rechtshilfefonds, für Menschen, die sich dagegen juristisch wehren. „So etwas brauchen wir auch in Niedersachsen“, sagt Marie Kortmann. 

Wir freuen uns über Ihre Berichterstattung! Interviewpartner*innen und Hintergrundinfos stellen wir auf Anfrage gerne zur Verfügung.

Pressekontakt:
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